Rechnungslegung nach OR in Zeiten von Corona



(Foto: mufaddalap/Pixabay)

Ereignisse nach dem Bilanzstichtag – Nicht-Berücksichtigung in der Jahresrechnung

Fraglich ist, ob etwaige bilanzielle Konsequenzen oder Offenlegungen, die aus der inzwischen globalen Ausbreitung des Coronavirus resultieren (allfällige Wertkorrekturen, Rückstellungen, etwa im Zusammenhang mit der Unmöglichkeit Kundenbestellungen auszuführen, Umstellung der Wertbasis bei Abkehr von der Going concern-Annahme, Offenlegungen bei wesentlicher Unsicherheit über die Fortführungsfähigkeit), bereits in der Jahres- und Konzernrechnung zum 31.12.2019 oder erst in späteren Abschlüssen zu erfassen sind.

Für die bilanzielle Behandlung gilt es dabei zu unterscheiden zwischen Ereig- nissen nach dem Bilanzstichtag, deren Ursache am Bilanzstichtag bereits be- stand, und solchen, deren auslösende Ursache erst nach dem Bilanzstichtag eintritt. Besteht die Ursache für ein Ereignis bereits am Bilanzstichtag, so ist das Ereignis in der Jahresrechnung des abgelaufenen Geschäftsjahres buchungspflichtig, wenn das Unternehmen nach dem Bilanzstichtag zusätzliche Informationen dazu erhält.

Tritt die auslösende Ursache erst nach dem Bilanzstichtag ein, wird das Ereignis grundsätzlich nicht in der Jah- resrechnung erfasst, ist aber im Anhang ausweispflichtig (HWP-Band «Buchfüh- rung und Rechnungslegung» (2014), IV.5.16.1).

Erste Fälle von Infektionen bei Men- schen sind nach derzeitigen Erkenntnis- sen zwar bereits Anfang Dezember 2019 bekanntgeworden, damals aber (noch) lokal begrenzt. Erst die deutliche Aus- weitung des Coronavirus ab dem Januar 2020 hat zu den aktuellen wirtschaftli- chen Auswirkungen geführt.

Für die Schweiz weiter verschärft hat sich die Lage mit der Einschätzung und dem Entscheid des Bundesrats vom 28. Februar 2020, die Situation als besonde- re Lage gemäss Epidemiegesetz einzu- stufen und Grossveranstaltungen tempo- rär zu verbieten.

Nach Auffassung von EXPERTsuisse handelt es sich entsprechend beim Auf- treten des Coronavirus als globale Ge- fahr um ein aus Optik des Jahresab- schlusses per 31.12.2019 nicht buchungspflichtiges Ereignis nach dem Bilanzstichtag (non-adjusting event).

Dementsprechend sind allfällige bi- lanzielle Konsequenzen erst in Jahres- oder Konzernrechnungen mit Stichtag nach dem 31.12.2019 zu berücksichti- gen. Insoweit sind auch Werteinbussen bei Vermögenswerten («Impairments») als Ereignis nach dem Bilanzstichtag grundsätzlich nicht per 31.12.2019 bi- lanziell zu berücksichtigen.

Ebenfalls ist bei Impairment-Betrach- tungen von der Situation am Bilanzstich- tag auszugehen, d.h. das Coronavirus ist insoweit kein Impairment Faktor.

Ungeachtet der Tatsache, dass die ge- schilderte Situation ein Ereignis nach dem Bilanzstichtag darstellt, ist es auf- grund der ausserordentlichen Situation mit mutmasslich starken finanziellen Auswirkungen für einzelne Unterneh- men durchaus denkbar, im Rahmen der Möglichkeiten des Obligationenrechts zum Beispiel die Vornahme zusätzlicher Wertberichtigungen oder die Bildung

von Rückstellungen als Instrumente zur Sicherung des dauernden Gedeihens des Unternehmens im Sinne von Art. 960a Abs. 4 OR sowie Art. 960e Abs. 3 Ziff. 4 OR zu prüfen.

(Quelle: EXPERTsuisse vom 25.03.2020)

Ereignisse nach dem Bilanzstichtag – Berücksichtigung
in Anhang

Wie im vorstehenden Abschnitt ausgeführt, stellt das globale Auftreten des Coronavirus ein nicht buchungspflichtiges Ereignis nach dem Bilanzstichtag dar. Im Anhang zur Jahresrechnung sind wesentliche Ereignisse nach dem Bilanzstichtag offenzulegen (Art. 959c Abs.2 Ziff.13 OR). Es sind die Art des Ereignisses und eine Schätzung der finanziellen Auswirkungen offenzulegen. Zu denken ist etwa an Auswirkungen auf Absatz und Ertrag aufgrund von Engpässen in der Belieferungskette, den Ausfall eigener Mitarbeitender respektive die Unmöglichkeit eigener Leistungserstellung und allfällige damit in Zusammenhang stehende rechtliche Risiken. Ist eine Schätzung der finanziellen Auswirkungen nicht möglich, ist dies anzugeben. Unternehmen, die einen Lagebericht nach Art. 961 OR erstellen, müssen in diesem über aussergewöhnliche Ereignisse sowie ihre Zukunftsaussichten berichten. In Bezug auf die Zukunftsaussichten nennt das Gesetz keinen bestimmten Zeitraum. Es erscheint sachgerecht, dabei auf das bei der Erstellung des Geschäftsberichts bereits laufende neue Geschäftsjahr bzw. einen branchenüblichen Geschäftszyklus abzustellen.

(Quelle: EXPERTsuisse vom 25.03.2020)

Annahme der Unternehmensfortführung

Die Rechnungslegung beruht auf der Annahme, dass das Unternehmen auf absehbare Zeit fortgeführt wird (Going concern, Art. 958a Abs. 1 OR). Im Extremfall hat die Ausbreitung des Coronavirus ggf. eine so bedeutsame negative Auswirkung auf die Geschäftstätigkeit, dass die Going concern-Annahme in Frage gestellt ist. Bei der Beurteilung der Unternehmensfortführungsfähigkeit hat das bilanzierende Unternehmen sämtliche verfügbaren Informationen über die Zukunft in Betracht zu ziehen, mindestens aber Informationen für die nächsten zwölf Monate ab Bilanzstichtag (Art. 958a Abs. 1 OR). Bei Abkehr von der Annahme der Unternehmensfortführung sind der Jahresrechnung Veräusserungswerte zugrunde zu legen (Art. 958a Abs. 2 OR). Treten Umstände ein, die dazu führen, dass das Unternehmen nicht mehr auf absehbare Zeit fortgeführt wird, muss dies im Anhang vermerkt werden (Art. 958a Abs. 3 OR).

Bei einer wesentlichen Unsicherheit, die erhebliche Zweifel an der Unternehmensfortführungsfähigkeit aufwerfen, wird der Abschlussprüfer diesen Sachverhalt in seinem Revisionsbericht hervorheben. Sollte diesbezüglich in der Jahresrechnung keine angemessene Darstellung der Unsicherheit bzgl. Unternehmensfortführung erfolgen, hat der Abschlussprüfer eine Modifikation seines Prüfungsurteils bzw. seiner Prüfungsaussage in Erwägung zu ziehen.

(Quelle: EXPERTsuisse vom 25.03.2020)



26.03.2020